Operation Shamrock: Interview mit Herbert Remmel

Text- und Bildquelle: Tourism Ireland Media Room

Remmel: „Aus der Tragik wurde ein Traum“

Durch die Operation Shamrock wurde Herbert Remmel als Neunjähriger nach Kriegsende für drei Jahre in Irland aufgenommen

Frankfurt, im Juli 2021

Am 27. Juli 1946 – vor nun 75 Jahren – fand der Transport deutscher Kriegskinder und -waisen aus den Trümmern des zerstörten Deutschlands nach Irland statt. Es war der erste der Operation Shamrock, einer Kinderhilfsaktion des Irischen Roten Kreuzes. 80 Kinder erreichten an jenem Tag Dun Laoghaire, der kleinen Hafenstadt im Süden Dublins. Insgesamt sollten es 1.000 werden, die von irischen Pflegeeltern aufgenommen wurden. Etwa 500 kamen aus Deutschland, die meisten aus dem Rheinland, dem britisch besetzten Nordrhein-Westfalen: unter ihnen Herbert Remmel (geboren am 25.9.1936) aus Köln. Heinz Bück durfte im Auftrag von Tourism Ireland in seinen Notizen blättern und hat mit ihm gesprochen: über jene dramatischen Kinderjahre, über Irland einst und heute und über eine humanitäre Aktion, die fast in Vergessenheit geraten ist, die Operation Shamrock. Dies sind die Aufzeichnungen über bewegende Zeiten. Wer in sie eintauchen will, sei auf Herbert Remmels Buch verwiesen.

Herr Remmel, Sie sind heute stolze 84 Jahre alt. Wie wirken diese vielen Jahre – heute 75 Jahre nach der Operation Shamrock – im Rückblick auf Sie?

Die Welt hat sich radikal verändert. Meine frühen Kindheitserinnerungen sind überschattet vom Bombenkrieg der Alliierten gegen Nazi-Deutschland. Meine Heimatstadt Köln wurde in 264 Nächten von Briten und Amerikanern bombardiert. Unser Wohnblock erhielt dabei einen Volltreffer: wir waren obdachlos – ausgebombt. Um uns in Sicherheit zu bringen, schickten meine Eltern meinen Bruder und mich zu Verwandten nach Oberschlesien. Dort ging ich zur Schule und dort wurde ich katholisch getauft. Was für mich mit dem Kriegsende 1945 – nach unserer Rückkehr in das zerbombte Köln – entscheidende Bedeutung haben sollte. Mein Vater war als Kommunist und Mitglied einer antifaschistischen Widerstandsbewegung von der Gestapo verhaftet worden und durch den Einmarsch der Amerikaner nur knapp der Hinrichtung entgangen. Und so kam ich nach dem Hungerwinter 45/46 in die Auswahl des irischen Roten Kreuzes für die Kinderverschickung nach Irland: denn ich war der Sohn eines Naziverfolgten und inzwischen auch ein katholisch getauftes Kind, wenngleich wider meines Vaters Willen. Wir Auserwählten versammelten uns im Juli 1946 zum Transport vor dem örtlichen Sozialamt.

Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Transport?

Bis heute sehe ich beim Gedanken an diesen Abschied die Silhouette des unversehrten Kölner Doms – weit in der Ferne über den Ruinen der Stadt – empor ragen. Die Überquerung des Kanals war für uns Kinder natürlich abenteuerlich. Und die Fahrt durch das zerstörte London, wo ja offenbar unsere „Feinde“ lebten, die uns aber nun so fürsorglich und warmherzig nach Liverpool begleiteten. Unvergesslich aber ist mir  – sie ist eine der ersten Eindrücke von Irland überhaupt – unsere Busfahrt über die O’Connell Street von Dublin. Stellen Sie sich vor: 40 aufgeregte Kinder, die wenige Tage zuvor das völlig zerstörte Köln und dann das zerbombte London verlassen hatten, verstummten ungläubig und drückten sich mit offenen Mündern die Nasen an den Fensterscheiben des Busses platt: große, prächtige unzerstörte Häuser, Menschen auf den Bürgersteigen vor üppigen Schaufenstern, Autos auf den Straßen und dazwischen die doppelstöckigen grünen Busse…

Sie blieben zunächst in Dublin…?

Ja, alle Kinder kamen zunächst nach Glencree, der zentralen Sammelunterkunft. Von dort  wurde ich abgeholt und in Dublin – bei meiner ersten Gastfamilie, den Cunninghams – untergebracht. In der Dubliner Zeit bekam ich denn auch einiges von der wirklichen Armut mit, die damals noch in Irland herrschte. Angesichts dessen kann ich die Operation Shamrock und die großherzige humanistische Geste der Iren nicht hoch genug schätzen. Aber auch der gute Tom Cunningham, der schon im Osteraufstand gegen die Briten von 1916 mitgewirkt hatte, wurde – nach inzwischen 30 Jahren irischer Unabhängigkeit – nochmals vom Dünkel der ehemaligen Kolonialherren heimgesucht: mit dem Kohleboykott Irlands durch die Engländer kam die Arbeitslosigkeit wieder zurück und nun auch über ihn und seine Familie. Ich konnte nicht bleiben.

Sie fanden dann eine Familie auf dem Lande?

Genau genommen fanden die mich. Die Nallys konnten eine Hand auf dem Hof gebrauchen. So kam ich dann auf ihre kleine Farm, draußen in Ballinlough, weit im Westen von Mayo. Und aus der Tragik gehen zu müssen, wurde für mich ein Traum: Ich durfte auf einem echten Bauernhof sein. Ich lebte behütet bei dieser kleinen, von Auswanderung dezimierten Familie. Ich fuhr den Eselskarren, fütterte Rinder, Schweine und Hühner. Und ich wurde unvoreingenommen, respektvoll und freundlich von den Nachbarn und Kindern im kleinen Dorf aufgenommen. Ich ging wie sie in die Facefield National School und hatte keinerlei Schwierigkeiten, als ich später in Deutschland zur Schule ging. Eine meiner Mitschülerinnen wurde später die Direktorin eben dieser Schule. 

Operation Shamrock

Operation Shamrock – Herbert Remmels geliebtes Famrhaus in Ballinlough

 Mayo wurde ihr zweite Heimat, die Nallys ihre zweite Familie…?

Durchaus. Halb-Ire war ich ja allemal schon. Die Cunninghams hatten mich wie einen Adoptivsohn behandelt. Als mich dann die Nallys aufnahmen, haben auch sie das gewiss aus christlicher Nächstenliebe gemacht. Aber wohl auch aus ganz praktischen Gründen. Um Granny zur Hand zu gehen, war ein gescheiter deutscher Junge gar nicht so übel. Doch ich erlebte viele wundervolle Stunden auf der Farm: mit Hühnerfüttern, Torfstechen, Viehweiden und dem Reparieren der Zäune. Mir wurden viele selbständige Arbeiten übertragen: zum Beispiel ganz alleine mit unserem Pferd Charlie den Acker zu eggen. Die Bindungen wurden herzlich und blieben innig und wir haben sie später über all die vielen Jahre hinweg gepflegt: über die Grenzen und die Kontinente hinweg bis zu den Emigranten nach Amerika. Ja, ich war in Ballinlough verwurzelt und ich bin Mayo – und im weiteren Sinne Irland – als meiner zweiten Heimat ein Leben lang tief verbunden. 

Herbert Remmel mit Alltagskleidung Facefield School 1948 - Operation Shamrock

Herbert Remmel mit Alltagskleidung Facefield School 1948 – Operation Shamrock

Sie haben ein Buch über diese Kindheitstage in Irland geschrieben und 2015 herausgegeben. Die Irish Times schrieb, es sei ein wenig romantisch…

Das ist es auch. Ganz bestimmt. Es ist aus der damaligen Sicht geschrieben. Und vieles, was aus der irischen Geschichte und Weltpolitik auf die dortigen Lebensverhältnisse eingewirkt hatte, war mir als Kind nicht bewusst. Ich stand unter den traumatisierenden Eindrücken des Zweiten Weltkrieges und bin den unmittelbaren Nachkriegsfolgen in Deutschland durch die Operation Shamrock in Irland zunächst einmal entronnen und gesundet. Einige Begebenheiten dieses „kindlichen Erlebens“ weisen, wie wir heute wissen, auf politische Hintergründe wie etwa meine Begegnung mit unserem lokalen Abgeordneten und auf die brennenden Fragen des Landbesitzes und Pachtzahlungen an ehemalige Landlords. Aber es ist kein analytisches Buch, sondern ein beschreibendes.

 

 

 

 

 

 Das 75-Jahr-Jubiläum von Operation Shamrock fällt zusammen mit 100 Jahren Unabhängigkeit in Irland, übrigens  auch mit 100 Jahren UNICEF. Wie sehen Sie Irland heute?

Mit geteilten und gemischten Gefühlen. Ich freue mich über den Wohlstand der Leute, sehe aber mit Bedauern und zunehmender Sorge, dass der Zusammenhalt, das Miteinander unter Geldinteressen gelitten hat und verloren geht. Eigentlich wie überall. Ich wünsche den Iren, dass sie sich ihre großen sozialen Tugenden und ihr großes Herz erhalten. Die Welt hat immer noch genug Tragödien. Und wenn ich die Kriege, die Flüchtlinge und Kriegsopfer heute sehe, besonders die Kinder und das Wegschauen der Welt, dann wird es mir schwer ums Herz. Da ist es doch bestimmt eine gute Gelegenheit, dass UNICEF heute 100 Jahre Bestehen feiert. Wir sollten das dann anlässlich unserer Gedenkfeier aufgreifen und alle Freunde in Irland und Deutschland aufrufen, so wie damals die Kriegskinder dieser Welt zu unterstützen und wenigstens finanziell zu helfen.

Links zu UNICEF und OXFAM Irland und zum Irischen Roten Kreuz:

https://www.unicef.ie/
https://www.oxfamireland.org/
https://www.redcross.ie/

Herbert Remmel steht für Interviewanfragen gerne zur Verfügung.

Anfragen an :
Irland Information Tourism Ireland
Oliver Treptow
E-Mail: otreptow@tourismireland.com

Links: www.ireland.com

 Weiterführende Links:

https://www.irishtimes.com/opinion/an-irishman-s-diary-1.760101
https://www.irishtimes.com/culture/a-piece-of-irish-history-to-be-proud-of-1.54788
https://www.irishtimes.com/opinion/an-irishman-s-diary-1.760101

(7.7.2021-hb)

Die Irland Information Tourism Ireland ist die touristische Marketing-Organisation der Insel Irland: www.ireland.com / Broschürenbestellung

Pressekontakt: presse@tourismireland.com, https://media.ireland.com

 

Hintergrund

Herbert Remmel blieb fast drei Jahre in Irland. Geboren und aufgewachsen in einer Arbeitersiedlung des „roten“ Köln-Neurath im kriegstreibenden Nazideutschland, wurde er im Alter von neun Jahren in Irland aufgenommen: in dem weitgehend verarmten irischen Freistaat, der damals immer noch damit beschäftigt war, die koloniale Vergangenheit zu überwinden. Erst 1949, als der irische „Bauernjunge Hörbört“ heimkehrt nach Köln ins Nachkriegsdeutschland des „Wiederaufbaus“, wird die Republik Irland ausgerufen und von den Vereinten Nationen erstmals international anerkannt. Sie gibt ihren Austritt aus dem Commonwealth bekannt und entzieht dem englischen König die außenpolitischen Repräsentationsaufgaben. 2021 gedenkt Irland seiner Unabhängigkeit und seiner konfliktgeladenen Kolonialgeschichte.

 Tipps zwischen Nord und Süd

Herbert Remmel erzählt in seiner 2015 erschienen Biografie „Von Köln nach Ballinlough“ von Kriegsjahren in Deutschland und den Nachkriegsjahren in Irland. Rheinisch, ja mehr noch irisch humorvoll, berichtet er von seinen Kinderjahren, seinem Deutschland und seinem Irland am Ende des Zweiten Weltkrieges: vom totalen Krieg und der totalen Selbstvernichtung in Deutschland. Und von jener liebevoll fürsorglichen Aufnahme in Irland, die prägend sein sollte für sein Leben. Nach seiner Ankunft kam der Neunjährige – aus seiner freiheitsliebenden kommunistischen Arbeiterfamilie – kurzzeitig in einer republikanisch gesonnenen Gastfamilie in Süd-Dublin unter. Doch Arbeitslosigkeit dort bedingte seine baldige Verlegung zu einer liebevollen katholischen Farmerfamilie im Dörfchen Ballinlough, in the Middle of Nowhere zwischen Castlebar und Castlerea im ländlichen Mayo. Es wird der Herzensort im Leben des heranwachsenden Jungen.

Operation Shamrock

Herbert Remmel mit seinem Foster Bruder Eugene – Operation Shamrock

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